Das zweite Kartäuserkloster, die Zeit der reichen Schutzherren
Das Kloster hatte 1362 seinen Gründer verloren, dessen Neffen aber, die alle Kardinäle waren, führte sein Werk noch etwa zehn Jahre fort. 1365 brannte das Palais Aubert-Innozenz VI. aus ungeklärten Gründen aus.
Pierre de Monteruc beschloss, an der gleichen Stelle eine zweite Kartause zu errichten. Dank seiner Schenkungen, die ihm zu Recht den Beinamen ‚zweiter Gründer der Kartause‘ eintrugen, verdoppelte sich die Zahl der anwesenden Patres. Sie waren nunmehr 24. Es mussten also neue Zellen gebaut werden, die am neuen Kreuzgang Saint Jean - auch ‚oberer Kreuzgang‘ genannt - liegen sollten. Der Kreuzgang entstand gegen 1372. Auch die Kirche war zu klein. Man baute ein neues Joch mit den zwei Seitenkapellen Saint Bruno und Saint Michel. Der neue Bereich wurde von den Fratres genutzt, die Patres versammelten sich im alten Gebäudeteil.
Pierre de Monteruc war nicht der einzige Angehörige der Familie Aubert, der sich großzügig zeigte. Der Kardinalpriester Audoin Aubert, Bischof von Ostia, und der Kardinalpriester Estienne Aubert, Bischof von Carcassonne, wollten ebenfalls das Werk von Innozenz VI. fortführen, spendeten bedeutende Geldbeträge oder ließen Teile des durch Brand zerstörten Gebäudes wieder neu errichten. Hier zeigt sich, wie eng das Schicksal der Kartause mit der illustren Familie verknüpft war. Die Großzügigkeit der Auberts machte die Gemeinschaft reich. Weitere bedeutende, einheimische Familien folgten dem Beispiel und schenkten dem Kloster Land und Häuser. Dank der beachtlichen Einkünfte konnte die Kartause Almosen an Arme verteilen und bei renommierten Künstlern (1) Wandmalereien und Gemälde in Auftrag geben.
Anfang des 17. Jh. war das Vermögen des Kartäuserklosters beträchtlich, der Landbesitz lag nicht nur in der Nähe des Klosters (Avignon, Rhone-Inseln, Pujaut, Aramon, Sorgues...), sondern erstreckte sich bis zum Comtat Venaissin und nach Pont Saint Esprit, wo mehrere Priorate lagen.- Nach 1603 legte Claude de Montconis aus Lyon die Angelseen von Pujaut und Rochefort trocken, an denen die Kartäuser Fischereirechte hatten. Als Entschädigung erhielt das Kloster Ländereien, die aus 500 ha fruchtbarem Ackerland bestanden. Hier wurden drei Höfe gebaut: Saint Hugues (1616), Saint Bruno (1653) und Saint Anthelme (1681). Ein Jahrhundert später zählte man dort 542 Hammel und 213 Mutterschafe. Das Kartäuserkloster hatte einen außerordentlich großen Wirkungskreis. Es wurden Novizen aufgenommen und illustre Kirchenmänner und Wissenschaftler ausgebildet. In Notzeiten, während der Pestepidemie oder bei Überschwemmungen half man den Armen.
(1) Im 15. Jh. legten die Kartäuser - oder vielmehr ihre Protektoren - Wert darauf, das Gotteshaus zu schmücken. Sie ließen bekannte Maler kommen. Die Krönung der Jungfrau von Enguerrand Quarton symbolisiert unter anderen Werken dieser Zeit die Verknüpfung von Kunst und Religion, die auf den Wänden der Kartause auch später noch prunkvoll dargestellt wurde.
Mit der Zeit wurden die Wände - als seien es Grundfeste des Glaubens - mit prächtigen Werken versehen, die Philippe de Champaigne und Nicolas Mignard zu verdanken sind. 1696 kam Frater Jean-Gabriel Imbert hinzu, im Kartäuserkloster entwickelte sich eine wahre Kunstschule. Natürlich waren die Sujets immer religiös und die Kunst in ihrer Aussage der Spiritualität unterworfen, aber welche Entwicklung hatte stattgefunden seit der eremitischen Schmucklosigkeit des Heiligen Bruno und der Zurückhaltung der Kartäuser bei Bildern, die den Ruf hatten, den Geist von der reinen Kontemplation abzulenken. Erinnert sei nur daran, dass das Konzil von Trient (1545-1563) Bilder bereits legitimiert und schon sehr ausdrücklich eine Aussöhnung besiegelt hatte.